Auf Augenhöhe
ALLE ZWEI JAHRE FINDET ER IN DEUTSCHLAND STATT – DER EVANGELISCHE KIRCHENTAG. UND ALLE ZWEI JAHRE GEBEN SICH DORT AUCH DIE WICHTIGSTEN POLITIKERINNEN UND POLITIKER DIE KLINKE IN DIE HAND, BUNDESPRÄSIDENT, KANZLERIN, JEDE MENGE MINISTER UND STAATSSEKRETÄRE. 2017 GELINGT EIN GANZ BESONDERER COUP: BARACK OBAMA MACHT DEN DEUTSCHEN PROTESTANTEN SEINE AUFWARTUNG. SIND POLITIK UND KIRCHE WESENTLICH ENGER MITEINANDER VERNETZT, ALS MAN GEMEINHIN GLAUBT?
<strong> Höhepunkt des Berliner Kirchentags: </strong> Der ehemalige US-Präsident Barack Obama trifft Bundeskanzlerin Angela Merkel und den EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm.
Höhepunkt des Berliner Kirchentags: Der ehemalige US-Präsident Barack Obama trifft Bundeskanzlerin Angela Merkel und den EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm.

Selbst wenn man den Obama-Besuch eher als einmaligen Show Act zum Lutherjubiläum sieht: Im Kirchentagspräsidium, in der EKD-Synode und in den einzelnen Landessynoden gibt es jede Menge Politiker mit einem klaren Bekenntnis zur evangelischen Kirche. Auch umgekehrt gehen bei der EU in Brüssel, im Bundestag und in den Landesparlamenten Repräsentanten der Kirchen ein und aus. Man spricht miteinander, man achtet sich, obschon man nicht immer einer Meinung ist. „Die Einmischung der Kirche in politische Fragen wird immer dann begrüßt, wenn sie die eigene Position unterstützt“, beschreibt der Münchner Kirchenrat und Pfarrer Dieter Breit die Situation, „und wird immer dann kritisch gesehen, wenn sie die eigene Position in Frage stellt.“

Breit, ein kluger und stilsicherer Mittfünfziger, ist Beauftragter der ELKB für die Beziehungen zum Bayerischen Landtag und zur Bayerischen Staatsregierung sowie für Europafragen und agiert sehr 


stark im Hintergrund. Seine Aufgabe sei nicht etwa, Wünsche oder gar Forderungen aus den Gemeinden an die Politik weiterzureichen, schränkt er ein. „Es geht nicht um tagespolitische Detailfragen und es geht nicht darum, dass sich die Kirche anmaßen sollte, im operativen Geschäft mehr Detailwissen zu haben als diejenigen, die politische Verantwortung tragen.“

Trotzdem ist die kirchliche Expertise fraktionsübergreifend gefragt. Verena Osgyan von den Grünen erwartet Unterstützung besonders da, wo es um sich ständig verändernde Werte geht: „Ich glaube, dass es wichtig ist, dass sich Kirche einmischt. Nicht parteipolitisch, sondern als Korrektiv.“ Hier könne die Kirche „auf Augenhöhe mitspielen“, sagt die Politikerin, die auch Mitglied der Landessynode ist.

<strong> Repräsentiert die Kirche in der Politik: </strong> Kirchenrat Dieter Breit auf der Besuchertribüne des Bayerischen Landtags in München <br><br>
Repräsentiert die Kirche in der Politik: Kirchenrat Dieter Breit auf der Besuchertribüne des Bayerischen Landtags in München


<strong> Trennung von Kirche und Staat? </strong> Treppenaufgang mit Kruzifix im Maximilianeum
Trennung von Kirche und Staat? Treppenaufgang mit Kruzifix im Maximilianeum

KIRCHE UND STAAT: WEITGEHEND AUTARK

So charmant das alles klingt: Das Verhältnis von Religion und Herrschaft ist seit jeher ausgesprochen kompliziert. Anders als im Islam, der sich bis heute als politische Kraft versteht, haben sich die christlichen Kirchen nach und nach aus der aktiven Politik verabschiedet – mehr oder minder freiwillig. Angefangen bei Augustinus, der zwei unterschiedliche Reiche postulierte und somit die weltliche Tagespolitik von der christlichen Heilserwartung trennen wollte, bis hin zu den Theoretikern des modernen Staates, die den Menschen selbst – und nicht etwa eine Religion – zum Gestalter und gleichzeitig zum Zweck politischen Handelns machten. Kirche und Staat sind jeweils, in modernen Demokratien zumindest, weitgehend autark. Trotzdem gibt es auch in der bayerischen Politik christliche Bezüge – bis hinein in die Verfassung. Und am Ende der repräsentativen Landtagstreppe des Maximilianeums hängt: ein großes Kreuz.

Wenn die Menschen als freie Bürger, zumindest theoretisch, unabhängig und alleine aus Vernunft wählen und handeln sollen, heißt das nicht, dass sich Kirche auch aus der Gesellschaft zurückziehen muss, im Gegenteil. Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm bemüht sich seit vielen Jahren darum, dass sich Christen, sozusagen von außen, kompetent zu Wort melden. „Öffentliche Theologie“ nennt er das und meint damit ein über das politische Tagesgeschäft hinausgehendes Zuhören und Mitreden in sozialethischen Fragen. Und genau das wird auch in der Politik geschätzt.


<strong> Synodaler und Abgeordneter zugleich: </strong> Markus Rinderspacher im Bayerischen Landtag
Synodaler und Abgeordneter zugleich: Markus Rinderspacher im Bayerischen Landtag

Der frühere Fernsehjournalist Markus Rinders­pacher, inzwischen Landtagsabgeordneter und Fraktionschef der SPD, warnt aber: „Wir dürfen uns nicht die Rosinen herauspicken, für was wir die Kirche jetzt gerade gut gebrauchen können und für was nicht. Wir können sie nicht missbrauchen, indem wir das Christliche in unseren Parteinamen integrieren, aber dann, wenn sie als Mahner auftritt, verbitten wir uns diese Einflussnahme. Also entweder, oder.“ Der Sozialdemokrat Rinderspacher – wie Meyer, Osgyan und auch Finanzminister Markus Söder Mitglied der bayerischen Landessynode – wird, was die Kirche betrifft, ungewöhnlich deutlich: „Ich erwarte von meiner Kirche geradezu, dass sie sich in die Politik einmischt. Wir brauchen das.“

„Man kann nicht sagen, dass die Kirche sich aus der Politik raushalten soll, weil sie bei der Organisation von Zusammenleben mit anpackt. Und zwar überall, an allen Ecken unserer Gemeinden und Städte. Die Kirche ist doch viel kompetenter und professioneller in diesen Bereichen als wir in unseren Amtsstuben im Bayerischen Landtag. Weil sie im Konkreten mit dem Leben vor Ort zu tun hat. Die Kirchen wissen, was in unseren Gefängnissen los ist. Und in unseren Krankenhäusern. Und in der Pflege.“
Markus Rinderspacher, SPD

Das sieht auch Markus Söder so, wenn auch eingeschränkt: Zwar sei es selbstverständlich, dass „eine Kirche sich auch in politische Fragen einbringen darf, einbringen muss“, bestätigt der einzige evangelische Minister im Kabinett Seehofer, anders wäre es aber, „wenn eine Kirche eine Art Ersatzpartei werden würde und nur noch teilnehmen würde am parlamentarischen Prozess, das wäre sicher zu wenig“. Konkret meint der Minister das menschliche Miteinander, den vertraulichen Austausch, weit über politische Agenden hinaus. „Manchmal würde ich auch gerne Gespräche haben über Gott und die Welt. Ein bisschen seelsorgerischer. Das kommt mir, wenn ich ehrlich bin, häufig zu kurz.“


VERTRAULICHE GESPRÄCHE

Genau damit aber trifft er bei Dieter Breit ins Schwarze. Der sieht sich nicht nur als Schnittstelle zwischen Synode, Landeskirchenrat und den einzelnen Fraktionen, er steht im Landtag auch für persönliche Gespräche zur Verfügung. Dann geht es nicht nur um den Abgleich unterschiedlicher politischer Positionen, dann geht es um Beratung und Seelsorge, bis weit hinein in private Angelegenheiten. Wie kann ich mich in Konfliktsituationen verhalten? Welche Hilfe gibt es in familiären Krisen? Gut ein Drittel seiner Zeit, schätzt Pfarrer Breit, investiert er in vertrauliche Gespräche auf dieser sehr persönlichen Ebene.

 

„Für mich ist der Rat der Kirche auch immer ein wichtiger Rat für meine Entscheidungen. Manchmal wünsche ich mir sogar mehr Einmischung. So hätte ich mir ein Statement der Landeskirche zum Thema ,Ehe für alle' schon vor dem Diskussionsprozess gewünscht – als Orientierung für eigene Gewissensentscheidungen. Insofern glaube ich, dass Kirche immer auch politisch ist, aber sie darf sich nicht gemein machen mit einer rein parteipolitischen Debatte.“
Markus Söder, CSU

Dreimal im Jahr trifft sich auch eine kleine Gruppe Parlamentarier aus unterschiedlichen Parteien und vor allem auch mit divergierenden politischen Ansichten in einem schmalen Raum, ziemlich versteckt in den Weiten des Landtags. Frühmorgens, bevor der hektische Politikalltag beginnt, wird hier gesungen und gebetet, unter Anleitung von Dieter Breit und seinem katholischen Kollegen. Erstaunlich kräftig klingen die Stimmen, die man sonst nur von Statements im Fernsehen kennt, wenn sie die Gesangbuchlieder intonieren. Als Dieter Breit dann spricht, hören die routinierten Politiker nachdenklich zu. Von großen Herausforderungen ist jetzt die Rede, von Integration – ein christlicher wie auch politischer Begriff. Integration, sagt Breit, könne nur gelingen, wenn Mehrheiten wie Minderheiten sich darauf einließen. Hier käme es eben nicht auf bürokratische Regelungen an, sondern auf den handlungsleitenden Geist.


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„Es gibt genügend Themen, wo es eben nicht die Einheit zwischen Kirche und Politik gibt. Wir hatten in der Frühjahrssynode heuer eine ganz heiße Diskussion zum Kirchenasyl. Und eine Woche später hatten wir sie im Landtag. Hier im Haus kommt von der Mehrheitsfraktion ja immer der Dampfhammer, Kirche sei kein rechtsfreier Raum. Das ist, isoliert betrachtet, sicherlich richtig und wird von der Landeskirche ja auch nicht bestritten. So einfach ist es aber nicht. Deshalb habe ich mich ganz persönlich entschieden, dass ich die Rolle des Anwalts für die Kirche und das Kirchenasyl übernehmen will.“
Peter Meyer, Freie Wähler

„Ich denke, es geht vor allem darum, dass sich Kirche und Politik gegenseitig partnerschaftlich, aber auch kontrovers reflektieren. Die Kirchen sind für mich immer ein Gesprächspartner auf Augenhöhe, aber es gibt aus gutem Grund eine Aufgabenteilung. Wenn es etwa um Weltpolitik geht, sehe ich die Aufgabe der Kirche darin, daran zu erinnern, dass wir eine Menschheit sind, dass wir alle gleich sind vor unserem Schöpfer und dass wir unsere Schöpfung bewahren müssen. Das ist ja wirklich die größte Herausforderung, die wir aktuell haben.“
Verena Osgyan, Bündnis 90/Die Grünen

Wie genau man sich verhalten soll, das kann allerdings auch der Politikbeauftragte nicht sagen: „Ich denke, dass es Situationen gibt, in denen Kirche tatsächlich Partei ergreifen sollte. Und dass es Situationen gibt, in denen Kirche gut daran tut, sich nicht auf eine Seite zu schlagen, sondern die unterschiedlichen Positionen miteinander ins Gespräch zu bringen.“ Schon 1985 hatte die Evangelische Kirche in Deutschland in einer Denkschrift ihren Handlungsspielraum definiert: Kirche habe die politische Aufgabe, in Grundfragen des Gemeinwesens die Stimme zu erheben. Dieter Breit nickt: „Und ich glaube, es ist sehr wichtig, sich immer wieder daran zu erinnern.“
 


REDAKTION: Herr Breit, was erwartet die Kirche von Ihnen? Und was wünschen die Politiker?

DIETER BREIT: Es gibt das Verständnis, dass wir Partei nehmen und bestimmte Positionen profiliert in den politischen Diskurs einbringen sollen. Es gibt aber auch die Meinung, es sei Aufgabe der Kirche, moderierend zu wirken. Ich denke, beide Positionen haben, je nach Sachlage, ihre Berechtigung.

REDAKTION: Das klingt ein wenig verwirrend. Die Menschen fragen sich ja schon: Was genau will die Kirche eigentlich?

BREIT: Ich erlebe es im Kontakt mit politisch Verantwortlichen, dass sie nicht immer an der Vielfalt innerhalb der Kirche interessiert sind. Die wollen wissen, was die Kirche zu einem Thema sagt. Manchmal ist es möglich, ihnen darauf eine Antwort zu geben. Dann nämlich, wenn die dafür zuständigen kirchenleitenden Organe auch eine klare Beschlussfassung erstellt haben. Aber es gibt viele Themen, zu denen es keine eindeutige Position der Kirche gibt, sondern eine Vielfalt an Positionen.

REDAKTION: Und es gibt ja auch viele Kirchenmitglieder vor Ort, die unterschiedliche Meinungen haben …

BREIT: … genau. Wenn es dort aber bettelnde Menschen gibt oder Obdachlosigkeit, dann wird dies eine Kirchengemeinde nicht einfach ignorieren können. Sondern sie muss dazu Position beziehen und muss auch ins Gespräch kommen mit denen, die politische Verantwortung tragen. Um zu fragen, was können wir tun, damit sich das ändert? Und damit ist sie schon im politischen Geschäft.

REDAKTION: Häufig hört man aus unterschiedlichen religiösen Richtungen, dass sich die Politik mehr nach ihren Glaubensvorstellungen richten solle – beispielsweise beim Essensangebot in Kindergärten und in Schulen. Oder wenn es um die Kritik an religiösen oder politischen Führern geht …

BREIT: ... religiöse Sensibilitäten alleine sind kein Argument. Zu prüfen ist: Werden die Religionsfreiheit oder andere Menschenrechte tangiert? Und: Was muss der demokratische Rechtsstaat leisten? Nur zu sagen, dies entspricht oder widerspricht meinem religiösen Gefühl, ist subjektiv legitim, aber im politischen Diskurs zu dünn.

REDAKTION: Trotzdem treffen auch manche Positionen der Kirche auf Unverständnis. Zum Beispiel beim Thema Kirchenasyl. Hier handeln Gemeinden sogar gegen geltendes Recht.

BREIT: Viele Politikerinnen und Politiker haben die Sorge, dass religiöse und weltanschauliche Gruppierungen in der Gesellschaft Sonderrechte für sich beanspruchen. Es wäre deshalb fatal, wenn wir dem Staat beim Streitpunkt Kirchenasyl signalisieren würden: „In unserem Gemeindehaus gelten Demokratie und Rechtsstaat nichts, sondern da gelten unsere eigenen Regeln.“ Wenn wir aber sagen: „Lieber Rechtsstaat, in diesem konkreten Fall haben wir den Eindruck, dass du deine eigenen Regeln nicht angemessen berücksichtigst und dass du deine eigenen Vorgaben, Menschenwürde und Leib und Leben zu schützen, nicht wirklich umsetzt“ – dann, finde ich, ist dies ein Dienst am Rechtsstaat, den man nicht einfach ablehnen kann.