Thaiany, Annemarie, Goyal und die anderen aus der Klettergruppe der „Lila Geckos“ schauen den beiden zu. Sebastian, mit schwarzen Haaren und Vollbart, hilft dem Sportpädagogen Alexander Kralj, die Jugendlichen in der Halle des Münchner Männer-Turnvereins zu trainieren. Seit acht Jahren ist er jetzt dabei, damals brauchte Sebastian eine Kur, um zehn Kilo abzunehmen – vorher lief sportlich nichts. Eine Erziehungsberaterin brachte ihn auf die Idee mit dem Klettern, Alexander Kralj begleitet ihn seitdem, motiviert ihn immer wieder, sportlich wie persönlich. „Und er hat mir beigebracht, dass es wichtig ist, Dinge anzusprechen, die einen bedrücken.“
Sebastian, der jetzt Lehrer werden will, war Schulverweigerer. „Ich hatte Angst und ging oft nicht hin“, sagt er. Weil er den Ärger der Lehrer spürte, blieb er noch öfter zuhause, vor dem Computer abhängen. Seine alleinerziehende Mutter in Milbertshofen, dem früheren Münchner Problemstadtteil südlich des Olympiageländes, war überfordert. Sie wollte, dass er zur Schule geht, aber sie konnte sich kaum Respekt verschaffen. Die Realschule benachrichtigte das Jugendamt. Jetzt kam die Ambulante Erziehungshilfe der Diakonie ins Spiel; die Beraterin dort fand heraus, dass Sport dem damals Elfjährigen guttun würde. Zunächst ging er zum Fußball, doch er sollte noch weitere Sportarten ausprobieren. Klettern erweist sich schließlich als das Richtige für ihn. Kaum hat er durch die Kur abgenommen und kann endlich mithalten, macht er die Erfahrung, wie gut sportlicher Erfolg schmecken kann. Und dass man mit Disziplin ziemlich weit kommt.
Über das Klettern kommt er auch mit dem alkoholkranken Freund seiner Mutter ins Gespräch und kann ihm endlich sagen, „wie sehr mich das belastet“.Nicht zuletzt dadurch hat der Freund den Entschluss gefasst, eine Entziehungskur zu machen.
INFO
Die Ambulante Erziehungshilfe ist ein Angebot nach dem Jugendhilfegesetz: Die fünf Beraterinnen und Berater der Diakonie besuchen Familien in Not, lernen Kinder und Erwachsene kennen und schauen mit ihnen nach passgenauer Hilfe – für die ganze Familie. Sie organisieren zudem auch Ferien- und Freizeitangebote.
ZEIT FÜR DIE FAMILIEN
UND VIEL EINFÜHLUNGSVERMÖGEN
Die Arbeit der fünf Beraterinnen und Berater der Diakonie Hasenbergl hier in München braucht Zeit und Einfühlungsvermögen. Sie müssen das Vertrauen der Kinder wie ihrer Eltern gewinnen. Und manchmal auch unangenehme Entscheidungen treffen. Gerne würde ihr Chef, Gereon Kugler, noch mehr Unterstützung anbieten. „Es gibt genug Jugendliche, die sie brauchen und wünschen“, sagt der Vorstand. Aber das hängt auch von der Stadt München ab, die die Finanzierung sichert, jedenfalls für das Standardangebot. Weitere Projekte muss die Diakonie Hasenbergl mit Hilfe anderer Geldgeber finanzieren; so hat Fundraiserin Doris Grahammer für die „Lila Geckos“ knapp 4.000 Euro aus dem „Adventskalender“ bekommen,
einer Spendenaktion der Süddeutschen Zeitung, immerhin. Das Angebot der Diakonie ist „sehr beständig“, sagt Kugler, „und in den letzten Jahren immer ein bisschen gewachsen“.
Kugler ist Betriebswirtschaftler. Er leitet das Werk seit 2011, zusammen mit der Sozialpädagogin Eva Grundner. Als sie beide kamen, umfasste die Diakonie im Hasenbergl 30 Einrichtungen – eine kritische Größe für soziale Unternehmen. „Wir mussten uns entweder gesundschrumpfen oder wachsen“, beschreibt Kugler die damalige Situation, „wir haben uns fürs Wachsen entschieden. Das hat sich als richtig erwiesen.“ Heute umfasst die Diakonie 55 Einrichtungen und gibt 500 Menschen Arbeit; ehrenamtlich beteiligen sich im Hasenbergl zusätzlich 160 Helferinnen und Helfer.
Längst hat sich die Arbeit auch in die Nachbarstadtteile ausgedehnt. Jedes Jahr werden im Schnitt zwei neue Einrichtungen eröffnet. Und der Name „Hasenbergl“ steht weniger als früher für einen sozialen Brennpunkt: Allmählich verliert das Quartier seinen problematischen Ruf. „Daran haben auch die sozialen Dienste einen Anteil“, sagt Kugler nicht ohne Stolz.
RESPEKT FÜR
MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER
„Wir nehmen uns Zeit für den einzelnen Menschen“, sagt das Leitbild des Werks. Kugler legt Wert auf eine Arbeitsatmosphäre, in der man seinen Beitrag gerne einbringt, neu Beschäftigte werden nach ihren Erfahrungen gefragt. „Uns ist wichtig, dass es den Mitarbeitenden gut geht“, sagt Kugler, „dass sie auch ihren Ausgleich zur Arbeit haben. Belastungen treffen auch uns – immer mehr Formalitäten, um Zuschüsse zu erhalten, immer weniger Personal. Trotzdem müssen wir schauen, dass die Beschäftigten gesund bleiben.“ Und dass die Arbeitsbedingungen stimmen. Ein guter Teil der Mitarbeitenden sind alleinerziehende Mütter und Väter.
Sie alle knüpfen ein Netz der Nächstenliebe. Es spannt sich unauffällig, aber spürbar unter Menschen wie Sebastian. „Das Klettern“, sagt er, „hat mich von meinen Problemen abgelenkt, und auch meine soziale Kompetenz hat es gesteigert. Es hat mich zu dem Menschen gemacht, von dem ich heute sagen kann: Auf den bin ich stolz.“
KONTAKT
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Tel.: 089 314 001-0
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DIAKONIE IN BAYERN
Das Diakonische Werk der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern bildet ein Dach über 1.317 diakonische Einrichtungen, Trägergesellschaften und Diakonievereine – von der Kindertagesstätte über die Beratungsstelle und das Frauenhaus bis zum Hospiz für die letzte Lebensphase. Diese beschäftigen zurzeit 89.120 Mitarbeitende. Rund 25.000 Menschen engagieren sich darüber hinaus ehrenamtlich.
Das Geld für die Diakonie stammt aus ganz unterschiedlichen Quellen: Gesetzlich geregelte Dienstleistungen werden von Kranken- und Pflegekassen, Rentenversicherern und Berufsgenossenschaften beglichen. Andere Angebote sind durch Sozialleistungsträger der öffentlichen Hand finanziert. Weil beispielsweise Kindertagesstätten in der Regel nicht kostendeckend arbeiten, sind sie auf Spenden und auf Zuschüsse der Kirche angewiesen.
Viele Einrichtungen stützen ihre Arbeit auf eine lange Geschichte des Helfens. Das 1572 gegründete Waisenhaus in Augsburg etwa ist das älteste in Deutschland. Eine bayerische Besonderheit ist auch die Diakonie im mittelfränkischen Neuendettelsau, mit 200 Einrichtungen und 80.000 betreuten Menschen der größte diakonische Träger des Freistaats.
KIRCHE UND DIAKONIE SIND IMMER FÜR ANDERE MENSCHEN DA. RUND UM DIE UHR. WAS ABER, WENN ES DEN EIGENEN MITARBEITERINNEN
UND MITARBEITERN NICHT GUT GEHT?
Sybille F. wusste nicht mehr weiter. Ihr Schwiegervater war von heute auf morgen schwer erkrankt, brauchte von nun an permanent Unterstützung. „Ich war völlig überfordert. Krankenhaus, Reha und dann wieder nach Hause. Da gab es so viele Fragen, wie es weitergehen soll. Mein Mann und ich sind ja beide berufstätig“, sagt die 42-Jährige. In ihrer Not wandte sich die Heilerziehungspflegerin an Tina Dehm. Sie ist Ansprechpartnerin in einem engagierten Projekt, das ihr Arbeitgeber, die Rummelsberger Diakonie, im Januar 2016 startete – Social Care.
„Wir bei der Diakonie haben zahllose Expertinnen und Experten für so viele Bereiche. Warum sollten wir diese Kompetenz nicht auch unseren eigenen Mitarbeitenden zugutekommen lassen“, erklärt Tina Dehm die Idee, die hinter der betrieblichen Sozialberatung steckt. „Mitarbeitenden mit Problemen im persönlichen und privaten Umfeld möchten wir eine Anlaufstelle bieten.“ Dabei seien die Herausforderungen vielfältig: „Ob Kinderbetreuung, Sorgerecht, Pflege, Finanzsorgen, Sucht oder Probleme am Arbeitsplatz. Es gibt kein Thema, das nicht vorkommen kann“, sagt sie und ergänzt: „Selbstverständlich sind alle Gespräche streng vertraulich.“
KOMPETENTE ANSPRECHPARTNERIN
Dehm begleitete Sybille F. dann „Schritt für Schritt“, lotete mit ihr Möglichkeiten aus, wie die Betreuung und Pflege des Schwiegervaters nach dem erneuten Krankenhausaufenthalt gesichert werden kann. „Mit einem spezialisierten Pflegedienst haben wir dann schließlich eine wirklich gute Lösung gefunden. Ich bin sehr froh, hier eine solch kompetente Ansprechpartnerin zu haben“, sagt Sybille F. „Es ist ein Gefühl, wie wenn jemand ein Netz spannt, das einen auffängt, damit man nicht fällt“. Imponiert hat Sybille F. auch, dass Dehm von sich aus immer wieder mit ihr Kontakt aufnahm, nach dem Stand fragte und Unterstützung anbot. „Eine solche Leistung meines Arbeitgebers ist eine ganz tolle Sache.“
Als einer der großen diakonischen Träger in Bayern beschäftigt die Rummelsberger Diakonie rund 5.600 Mitarbeitende. Diakonin Dehm war mit ihrer halben Stelle zunächst für die 800 Mitarbeitenden in Nürnberg zuständig, nach einem halben Jahr kamen der Landkreis Roth und das Nürnberger Land dazu, sodass nun 3.000 Mitarbeitende Social Care nutzen können. Inzwischen steht Social Care allen in der Rummelsberger Diakonie zur Verfügung.
Dass Social Care immer bekannter und beliebter wird, zeigen die Zahlen: „Im ersten Jahr hatten wir bereits 70 Anfragen, in diesem Jahr liegt die Zahl um einiges darüber.“ Dehm erzählt die Geschichte von der Mutter, die in ihrem neuen Job ab 5 Uhr 30 arbeiten muss und nun verzweifelt eine Kinderbetreuung zu dieser frühen Stunde suchte. Und von der Mitarbeiterin, deren behinderte Tochter sich plötzlich mit dem Messer ritzte. Sie vermittelte beide Frauen in spezielle Angebote, so dass sie schnelle Hilfe erfuhren. „Wenn man sich mit so vielen verschiedenen Themen beschäftigen muss wie ich, ist man manchmal schon überrascht, welch tolle Einrichtungen es gibt, durch die Menschen ganz spezielle Unterstützung erfahren, zum Beispiel ein Kinderbetreuungsnetzwerk für Randzeiten.“
Kontakt zu ihr nehmen die Mitarbeitenden per Telefon oder E-Mail auf. „Ich mache mir dann zunächst ein Bild, ob jemand einfach nur einen Tipp zur Selbsthilfe benötigt oder ausführlicher begleitet werden muss. Dann sortieren wir erst einmal die Themen und schauen gemeinsam, was am wichtigsten ist.“ Zurzeit gebe es viele Alleinerziehende mit finanziellen Problemen, die sich an sie wenden, erklärt sie. In solchen Fällen stellt sie mit den Klientinnen zum Beispiel einen Haushaltsplan auf, oder sie begleitet sie in die Privatinsolvenz. „Es gibt auch gute, niedrigschwellige Einstiegsthemen wie zum Beispiel ein Antrag auf Elterngeld, durch die Mitarbeitende uns kennenlernen und wir Vertrauen aufbauen können“, sagt sie. „Dann kommen sie später auch mit komplizierteren und persönlicheren Themen zu uns.“
MIT BEGLEITUNG IN DIE INSOLVENZ
So wie Claudia S. Die 50-Jährige war durch eine längere Krankheit in eine massive finanzielle Problemlage geraten. Auch ihr Ehemann ist langzeiterkrankt und arbeitsunfähig. „Ich weiß nicht, was ich ohne Social Care gemacht hätte“, sagt sie, „es war eine schreckliche Erfahrung, wie schnell man in Probleme rutschen kann.“ Besonders imponiert hat ihr, dass sie nicht krank den Weg zur Beratung antreten musste, sondern dass Dehm zu ihr ins Haus kam und mit ihr ausführlich über ihre Situation sprach. Nach intensiven Beratungen entschloss sich die Pflege- und Erziehungshelferin schließlich, den Weg einer Privatinsolvenz zu gehen. „Ich war dann sehr froh, dass ich nicht alleine zur Insolvenz-Erstberatung nach Nürnberg fahren musste.“
Genau diese Unterstützung möchte Dehm nicht mehr nur den Mitarbeitenden der Rummelsberger Diakonie anbieten. Denn das Angebot können nun auch andere Firmen wahrnehmen. Seit Juni sind bereits zwei Unternehmen mit im Boot, mit anderen laufen Gespräche. Allerdings steht in solch einer Partnerschaft mit Social Care eben nicht die Wirtschaft im Vordergrund, sondern ganz deutlich das Soziale. Und die jeweiligen Firmenmitarbeiter merken, „die kennen sich richtig gut aus“.
KONTAKT
RUMMELSBERGER DIAKONIE
Rummelsberg 2, 90592 Schwarzenbruck
Tel.: 09128 50-2321
social-care@rummelsberger.net