REDAKTION: Jetzt können Sie mal einen echten Bischof fragen, was Sie ihn schon immer mal fragen wollten …
LUISE KINSEHER: … allerdings hätte ich ihn niemals für einen echten Bischof gehalten.
REDAKTION: Warum?
KINSEHER: Weil ich katholisch aufgewachsen bin. Und da sind die Bischöfe ganz anders.
HEINRICH BEDFORD-STROHM: Es ist ja interessant, welche Rolle da die Kleidung spielt. Ich habe manchmal den Lutherrock mit dem Amtskreuz an, manchmal einen Anzug mit einem Collarhemd. Heute bin ich mit Krawatte gekommen, obwohl ich das für keine zentrale Frage halte.
KINSEHER: Mir persönlich ist es natürlich lieber, wenn man nicht in einer Weihrauchwolke auf Menschen zugeht.
Auf der anderen Seite ist es aber ein Ausdruck von Würde, von einem Amt. Ich bin ja theatral und bayerisch genug, um auch die Zeremonien der Kirche zu schätzen und das dann schön zu finden.
REDAKTION: Nun sind Sie allerdings auch jemand, die als „Bavaria“ Prominente kabarettistisch auszieht. Auf der Bühne duzen Sie die wichtigsten Politiker. Wenn Sie also jetzt Herrn Bedford-Strohm karikieren müssten: In welche Wunde würden Sie Ihren rhetorischen Finger legen?
KINSEHER: Grundsätzlich, glaube ich, ist er nicht angreifbar, gar nicht, auch nicht in seiner Authentizität. Da könnte man sich vielleicht über kleine menschliche Sachen lustig machen. Dass er überall dabei sein muss und überall seinen Senf dazugeben muss …
REDAKTION: … aber Sie sind doch sonst sehr kritisch und sehen auch die liebenswerten Schwächen der Menschen. Fällt Ihnen da zur Kirche und zum bayerischen Landesbischof nichts ein?
KINSEHER: Ja, das wurde ja immer wieder gemacht. Im bayerischen Kabarett hat das ja eine lange Tradition. Für mich ist das aber nicht so das Thema.
BEDFORD-STROHM: Es hat sich auch viel geändert …
KINSEHER: … es hat sich so viel geändert, und wir haben jetzt ganz andere Fragen im Kabarett. Die beziehen sich eher auf unsere Angst vor dem Islam. Was kann man, was darf man in einer Satire sagen? Ist man schon Rassist, bloß weil man jetzt religionskritisch gegenüber dem Islam ist?
BEDFORD-STROHM: Ich glaube, es kommt auf das Wie an. Kritik brauchen wir, die üben wir ja auch selbst. In der Kirche verwenden wir dafür den Begriff der Buße, ein Wort, das Martin Luther gleich in der ersten seiner 95 Thesen, deren 500. Jahrestag wir jetzt feiern, ins Zentrum gestellt hat: Selbstdistanz zu gewinnen, sich also immer wieder selbst zu überprüfen – persönlich, aber auch als Institution, als Kirche und natürlich auch als in der Politik Mitredende. Gehen wir in die richtige Richtung, oder haben wir unsere eigenen Grundsätze hinter uns gelassen? Merken wir es überhaupt noch?
REDAKTION: Da kann Humor doch eine große Hilfe sein.
BEDFORD-STROHM: Schon. Allerdings passiert es in manchen Satire-Sendungen auch, dass jemand beliebte Klischees bedient und bestimmte religiöse Gefühle verletzt und meint, dadurch hat er schon was Intelligentes gemacht. Obwohl es eigentlich nur flach ist, Tabubruch als Prinzip. Dem kann ich nichts abgewinnen.
REDAKTION: Gott könnte es doch locker aushalten, dass er und seine Leute auch mal Zielscheibe sind?
KINSEHER: Humor kommt ja von Gott. Wenn man eine gewisse Distanz zu sich selbst hat und eine Freundlichkeit dem Leben gegenüber und alles nicht so ernst nimmt und humorvoll sieht, dann hat das was sehr, sehr Schönes und Heiliges an sich.
BEDFORD-STROHM: Ein Zeichen von Stärke.
KINSEHER: Aber ich stelle schon fest, dass wir sehr unsicher sind darin, was jetzt humorvoll ist, was witzig ist, was schön ist, was gut ist. Guter Humor weitet ja den Horizont, der macht ja nicht zu. Der beleidigt ja niemanden. Obwohl ich diese Einstellung habe und am Nockherberg niemals irgendjemand beleidigen will – um Gottes Willen! –, ist dann doch der eine oder andere beleidigt, weil man da nicht sitzt und sich mit einer gewissen Selbstdistanz betrachtet, sondern weil man da Bier trinkt und nur politisch denkt, politisch lacht.
BEDFORD-STROHM: Ich bewundere dann immer Ihre Schlagfertigkeit, die wirklich den richtigen Punkt spontan trifft. Das Entscheidende ist aber schon, dass der Grundrespekt gegenüber dem anderen Menschen nicht verletzt wird. Und deswegen sind für mich die religiösen Gefühle von Menschen auch nicht irrelevant.
KINSEHER: Ich finde es auch wahnsinnig gefährlich – wir leben ja ohnehin in einer Zeit, die geprägt ist von der ganz großen Orientierungslosigkeit. Und deshalb finde ich es ganz besonders schwierig, sich jetzt satirisch oder auch angreifend mit religiösen Inhalten auseinanderzusetzen. Es besteht immer die Gefahr, dass bereits bestehende Konflikte dadurch eskalieren, was uns in der Auseinandersetzung ja nicht weiterbringt.
ZUR PERSON
LUISE KINSEHER, Niederbayerin aus Geiselhöring, studierte Germanistik, Theaterwissenschaften und Geschichte in München. Als Schauspielerin war sie in ganz unterschiedlichen Film- und Fernsehrollen zu sehen, unter anderem im Tatort, im Café Meineid und in der Fernsehserie München 7.
Sie hat zahlreiche Auszeichnungen und Kabarettpreise erhalten, etwa das Passauer ScharfrichterBeil, den Förderpreis des Deutscher Kleinkunstpreises, den Kabarettpreis der Stadt München, den Ernst-Hoferichter-Preis sowie den Bayerischen Kabarettpreis.
Seit 2011 „derbleckt“ Luise Kinseher in der Rolle der BAVARIA am Nockherberg die Politiker. Luise Kinseher lebt in München.
DR. HEINRICH BEDFORD-STROHM ist Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB) und Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Zuvor war er Professor für Systematische Theologie und Theologische Gegenwartsfragen an der Universität Bamberg.
die Politiker nicht einmal
zu kritisieren, es reicht,
sie zu zitieren.“
REDAKTION: Allerdings wird auch die Empfindlichkeitsschwelle immer niedriger. In der Türkei wird jetzt die Evolutionstheorie abgeschafft, und wenn wir etwas dagegen sagen, dann heißt es, wir verletzten deren religiöse Gefühle …
BEDFORD-STROHM: Ich glaube, dass es einen Unterschied gibt zwischen bestimmten religiösen Inhalten, die man auch aufs Korn nehmen kann, und anderen, wo einfach eine Grenze da sein muss.
KINSEHER: Das aktuelle Thema ist tatsächlich: Satire sollte nicht religiöse Glaubensinhalte diffamieren, aber Widersprüche und Unwahrheiten müssen benannt werden dürfen.
BEDFORD-STROHM: Dass es Mordanschläge auf Menschen gibt, die sich satirisch über Religion geäußert haben, dass es eine Schere im Kopf gibt, die uns davon abhält, dieser Selbstdistanz, die mit Humor und dann auch Satire verbunden sein kann, Raum zu geben – das finde ich unerträglich. Ich muss klar sagen: Wenn Jesus als Karikatur dargestellt wird, müssen wir das aushalten. Und deswegen finde ich es schon sehr schwierig, dass die Empfindlichkeitsschwelle so weit runtergeht, dass schon so was als religiöse Provokation empfunden wird. Das ist ein Problem.
REDAKTION: Der frühneuzeitliche Narr hält den Menschen einen Spiegel vor. Der Komiker, diese neuere Variante, macht das ebenfalls und sagt: Jetzt schaut mal her, so seid ihr. Und der Mensch entdeckt sich darin sozusagen selbst. Das will die Kirche ja auch. Allerdings benutzt sie nur selten Elemente des Humors. Da ist es immer recht ernst, sehr sachlich …
KINSEHER: … ja, das stimmt.
BEDFORD-STROHM: Da kann ich Frau Kinsehers Rat gut gebrauchen. Man muss es ja auch gut machen …
KINSEHER: … das darf ja nicht danebengehen …
BEDFORD-STROHM: … genau. Man muss es auch können.
KINSEHER: Humor ist ein schmaler Grat, auf dem man tanzt. Wie Seiltanzen. Immer die Balance halten; und gerade, wenn es darum geht, mit Humor Inhalte zu vermitteln, da wird es natürlich extrem schwierig. Das erlebe ich ja täglich bei meiner Arbeit. Am Nockherberg wird erwartet: So, jetzt geben wir es ihnen. Ich werde da jedes Jahr in der Luft zerrissen, weil ich zu weich bin; und ich finde das nicht. Manchmal braucht man die Politiker nicht einmal zu kritisieren, es reicht, sie zu zitieren. Die gehen ja selber miteinander so respektlos um, so bösartig. Sowas würde ich nicht machen, weil mir der Mensch wichtig ist, mit dem ich zu tun habe.
BEDFORD-STROHM: Da geht es um den Grundrespekt.
KINSEHER: Der Umgangston in der Politik ist rüde geworden, gleichzeitig werden Inhalte immer weniger sachlich diskutiert und schon gleich gar nicht geistreich! Gerade in den Talkshows entsteht der Eindruck: Entweder man schlägt sich in den politischen Debatten gegenseitig die Köpfe ein, oder man redet um das Thema herum. Der Erkenntnisgewinn für die Zuschauer hält sich dabei zumeist in Grenzen. Da braucht man sich nicht wundern, wenn sich auch in den sozialen Medien der Ton immer mehr verschärft. Mir gefällt das überhaupt nicht. Ich möchte eigentlich wieder mehr Respekt.
BEDFORD-STROHM: Ja, absolut. Es wäre für die politische Kultur ungeheuer wichtig, dass wir eine Kultur der Selbstdistanz haben. Dass auch einer, der sagt, ich habe mich da geirrt und ich habe da einen Fehler gemacht, nicht hingerichtet wird. Sondern dass es Medien und Bevölkerung insgesamt eher als Zeichen der Stärke sehen, wenn einer mal sagt, ich habe dazugelernt.
KINSEHER: Genau. Was mir auffällt, ist, dass wir zwar einerseits kein Blatt mehr vor den Mund nehmen, gleichzeitig fehlt es aber an Klarheit in der Grundposition. Wir müssen uns wieder viel mehr Zeit nehmen, etwas klarzustellen. Und da brauche ich halt auch mal vier oder fünf Nebensätze mehr.
REDAKTION: In Ihrer aktuellen Show behaupten Sie allerdings auch eher kurz und knapp, auf dieser Welt stimme etwas nicht. Und das sagen wir in der Kirche ja manchmal auch …
KINSEHER: … wenn ich meine eigenen Programme mache, arbeite ich völlig anders. Da bin ich überhaupt nicht auf Angriff eingestellt oder so was, gar nicht. Klar, es muss unterhaltsam sein, man muss lachen können, am besten ganz laut. Aber es soll halt auch schon mal so ein Erkenntnislachen dabei sein, ein überraschendes Lachen. Also niemals ein Lachen der Schadenfreude, niemals ein Lachen gegen andere. Vielleicht ein Lachen, weil man sich selber dabei entdeckt.
BEDFORD-STROHM: Es gibt schon große Analogien zwischen dem, worum es uns in der Kirche geht, und dem, was Sie beschreiben. Und ich finde das toll, ich bewundere das, wenn es gelingt, das auch noch mit Freude und mit Lachen zu verbinden. Man kann ja jemandem, der einem humorvoll die Schwächen zeigt, eigentlich gar nicht böse sein.
KINSEHER: Der Unterschied aber ist: Ich kann im Kabarett alles offenlassen, ich brauche am Ende keine Lösung. Während Sie in der Kirche doch eigentlich wissen, wie es geht, oder?
BEDFORD-STROHM: Das wäre vielleicht zu viel gesagt, aber wir haben eine starke, verlässliche Basis, um mit dieser Frage umzugehen. Wir leben aus der tiefen Überzeugung, dass diese Welt nicht auf ein dunkles Loch zugeht, sondern auf einen „neuen Himmel und eine neue Erde“, in denen „alle Tränen abgewischt sind“, wie es in der Bibel heißt. Davon zu erzählen und die Lebensfreundlichkeit, die darin steckt, selbst auszustrahlen, das ist heute unsere Aufgabe.