Das pittoreske Gebäude hat nicht nur eine ganz besondere Architektur, es hat auch eine ganz besondere Geschichte: Reichsgraf von Giech, Angehöriger eines alten fränkischen Adelsgeschlechts, hatte die Kirche nämlich nach den Vorstellungen der ranghöheren Markgrafen gebaut – eine Art Diebstahl geistigen Eigentums. Diese hatten schon Mitte des 18. Jahrhunderts damit begonnen, „ihre“ Kirchen zeitgemäß offen und modern umzugestalten. Auch zuvor gab es in der Gegend um Bayreuth schon Kirchen, meist aus dem späten Mittelalter. Viele waren im Krieg zerstört worden oder baufällig geworden.
Auch in Berndorf hatten die Gläubigen Angst, dass ihnen ein Balken auf den Kopf oder irgendwann einmal der Pfarrer von der Kanzel fallen könnte. Und jetzt herrschte auch noch der siebenjährige Krieg. Reichsgraf von Giech schwor, eine neue Kirche zu bauen, wenn sein Land vom Krieg verschont bliebe. Als dem so war, suchte er die Kirche, die im schlechtesten Zustand war. Die Wahl fiel auf Berndorf.
GEMEINDE UND PFARRER GEHÖREN ZUSAMMEN
„Andere Kirchen haben ein Langschiff mit einem Chorraum vorne“, beschreibt Regionalbischöfin Dorothea Greiner die klassischen Kirchenbauten, so wie sie normalerweise errichtet wurden. Der Nachteil: Die in den hinteren Bänken sitzenden Gottesdienstbesucher waren viel zu weit entfernt von dem Geschehen am Altar und auf der Kanzel. „Die Markgrafen haben das geändert“, erklärt die Bischöfin. Dazu verzichteten sie auf den Chorraum und rückten den Altar nach vorne, mitten in die Gemeinde hinein. „Das ist gelebte Theologie“, konstatiert Dorothea Greiner, „Gemeinde und Pfarrer gehören einfach zusammen.“
Über 100 Markgrafenkirchen sind beim Kirchenkreis Bayreuth gelistet, allein etwa 50 in den Städten Bayreuth, Kulmbach und Umgebung. Was aber macht den besonderen Reiz dieser Kirchen aus? Was macht sie so zauberhaft, so liebenswert, so einladend? In vielen der Markgrafenkirchen hat man das Gefühl, sich eher im Theater oder in der Oper zu befinden als in einem Gotteshaus: innovative, auch ovale Grundrisse, in Creme und Altrosa gehaltene Doppelemporen, in die immer wieder auch verglaste Logen eingebaut sind – Ehrenplätze für die Grafen und ihre Familien. Ganz im Stil des Rokoko wiederholen sich hier der Schwung und die Farbgebung im Deckenstuck. Die offene Bauweise im Look von Rokoko-Theaterhäusern bedeutet nichts weiter als: Gott ist mittendrin im Geschehen und nicht etwa durch eine weitläufige Architektur und dicke Balustraden von den Betenden getrennt. So hatten dies wohl auch die Markgrafen verstanden, und dies hatte sie vermutlich dazu veranlasst, die lichtdurchfluteten Kirchen zu bauen.
Jede für sich ein Kleinod – und jede für sich auch eine Offenbarung von Schönheit, Ästhetik, Liebe und auch Nächstenliebe. „Diese Kirchen sind voller Freude“, sagt Dorothea Greiner, „weniger der Gekreuzigte und das Leid dominieren als vielmehr der Auferstandene, die Freude, das Licht.“
SAKRAMENT, WORT UND MUSIK
Stuckateure, Maler, Handwerksmeister: Sie gaben jeder Kirche ihr ganz eigenes Gesicht. Dennoch zieht sich – nicht so sehr im Äußeren, aber sehr wohl in der Gestaltung der Innenräume – ein „roter Faden“ durch alle Markgrafenkirchen. Neben den erwähnten Emporen oder sogar Doppelemporen hat der „Kanzel-Altar“ eine besondere Bedeutung. Die Berndorfer Kirche etwa zieren ein freistehender Altartisch und darüber eine geschweifte Kanzel aus elegantem, schwarzem Stuckmarmor. Über diese Einheit ordneten die Baumeister von damals zusätzlich noch die Orgel an. Auch die Besucher der Ordenskirche St. Georgen in Bayreuth dürfen sich an solch einem Ensemble erfreuen, das von Elias Räntz gestaltet wurde – einem Bildhauer, der sehr viel zur künstlerischen Ausgestaltung der Markgrafenkirchen beitrug. Die von ihm geschaffene Altar-Kanzel-Orgel-Einheit zeigt sich mit marmorierten Säulen, bunt bemalten Figuren sowie mit reichlich goldenen und farbigen Verzierungen in einer besonderen Pracht. „So wird die Einheit von Wort und Sakrament symbolisiert“, erklärt Bischöfin Dorothea Greiner. „Weil über dem Altar die Kanzel steht. Und wenn über Altar und Kanzel noch die Orgel errichtet wurde, dann ist die Einheit perfekt: die Rituale werden durch den Altar verkörpert, das Wort Gottes durch die Kanzel, die Musik durch die Orgel."
WELTOFFEN UND GEBILDET
Die Idee zu dieser Architektur kam aus einem reformatorischen Bewusstsein, wie ein „evangelischer Kirchenraum“ gestaltet sein soll. Die architektonische und künstlerische Gestaltung übernahmen Baumeister und Künstler, die zunächst aus Italien und Frankreich kamen. Die markgräflichen Familien waren ungewöhnlich weltoffen, europäisch gebildet und hatten Frieden statt Krieg im Blick. „Man macht sich kaum bewusst, welche politische Leistung es im 18. Jahrhundert war, nach Jahrhunderten von Kriegs- und Raubzügen, territorialen Zwistigkeiten, Religionsfehden und Rechtsstreitereien zwischen niederem Adel, freien Reichsrittern, Bischöfen und Markgrafen auf eine fest gegründete Friedenspolitik auf Basis gemeinsamer Werte ‚umzurüsten‘“, erklärt Kulturwissenschaftlerin Karla Fohrbeck das Besondere der Markgrafenregierungen.
Die Lust am nahezu verschwenderischen Bauen, Verzieren, Bemalen und Einrichten der Gotteshäuser war so groß, dass sie nicht selten bis an die pekuniären Grenzen ging. So entwickelte sich etwa Bindlach, Urpfarrei und wohl eine der 14 Slawenkirchen unter Karl dem Großen, zu einer an Pfründen reichen Kirchengemeinde – stets an dem neuesten künstlerischen Chic orientiert: Himmelfahrtsgemälde, Stuckdecke, blau marmorierte toskanische Emporensäulen, Altar. Zwar musste die Gemeinde zunächst auf die Baugenehmigung von Markgraf Friedrich Christian warten, bekam dann aber gleich drei der besten Architekten von ihm bezahlt – alles, was Rang und Namen hatte. Kein Wunder, dass das Geld inzwischen knapp geworden war und sich die Bauzeit um zwei Jahre bis 1768 verlängerte; und es sollte bis 1782 dauern, bis dann unter Markgraf Alexander auch die Orgel installiert war – mit 1.183 Pfeifen.
UND SCHWER –
IM GEGENTEIL:
HIER IST ALLES
ZIERLICH UND LEICHT.“
HOFDAMEN IN GOLD
In der in stilechtem Rokoko ausgestatteten St.-Walburga-Kirche können Besucher ebenfalls eine kunstvolle Orgelfront mit dem Hohenzollern-Wappen bewundern. Die ehemalige Chorturmkirche steht mitten in dem kleinen Ort Benk auf einem Sandsteinhügel. Neben der imposanten Orgel besticht ein außergewöhnlicher, in Gold und Rot leuchtender Kanzelaltar. Zwischen den Säulen stehen Moses, der als Gesetzesgeber fungiert, und Aaron, dem die Aufgabe des Hohepriesters zukommt. Höhepunkt ist aber die Deckenmitte von Hofstuckateur Andrioli: Das goldene Trinitätssymbol mit dem Auge Gottes sendet eine regelrechte Strahlenexplosion aus. Und zwischen Kinderengeln und Wolken warten dort die verklärten Hofdamen auf ihre vorweggenommene Auferstehung.
„Der Himmel hängt voller Engel, voller Strahlen, voller Licht. Das gibt mir so viel Ruhe und Kraft“, sagt Kirchenführerin Renate Kreutzer, während sie ganz alleine rücklings auf dem Kirchenboden liegt und nach oben schaut, „und ich entdecke immer wieder Neues.“ Um die Schönheit und die besondere Atmosphäre der Markgrafenkirchen einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen, hat die Landeskirche seit März eine Projektstelle eingerichtet – und mit dem ehemaligen Bayreuther Dekan Hans Peetz, der sich schon lange mit dem Themenfeld Kunst und Theologie beschäftigt, eine ideale Besetzung gefunden.
ADRESSEN
ST.-BARTHOLOMÄUSKIRCHE IN BINDLACH
Kirchplatz 1
95463 Bindlach
ST.-WALBURGA-KIRCHE IN BENK
Hans- Raithel- Str. 45
95463 Bindlach-Benk
ORDENSKIRCHE IN ST. GEORGEN
St. Georgen 56
95448 Bayreuth
FRIEDENSKIRCHE IN BERNDORF
Berndorf 6
95349 Thurnau
GRUFT IN DER STADTKIRCHE BAYREUTH
Kirchplatz 1
95444 Bayreuth