Die Fräcke der Theologenszene
DEN ACHTUNDSECHZIGERN GALTEN SIE ALS MUFFIG, HEUTE FINDEN MANCHE SIE GANZ SCHÖN TRIST: DIE SCHWARZEN TALARE VON PROFESSOREN, JURISTEN, VON PFARRERINNEN ODER PFARRERN. IN WAHRHEIT ABER SIND ES ELEGANTE ROBEN, AUS BESTEM STOFF UND MEISTERLICH GESCHNEIDERT. IN NÜRNBERG KANN DAS NUR REINHARD K. ALBRECHT.


So stellt man sich einen Schneider vor, auch wenn er nicht in London näht, oder in Wien: Die interessierten Augen hinter der zeitlosen Nickelbrille nehmen bereits Maß, wenn der Besucher noch ganz außer Atem ist vom Kampf mit den vielen Treppenstufen. Vier Stockwerke geht es nach oben, im alten Nassauer Haus, dem mittelalterlichen Wohnturm direkt an der mächtigen Lorenzkirche. Im obersten Stockwerk schneidern Albrecht und zwei Mitarbeiterinnen Jahr für Jahr gut 150 Talare.


Platz für künstlerische Ambitionen bleibt im Atelier allerdings wenig: Wie Talare auszusehen haben, ist ganz genau vorgeschrieben. In Bayern etwa haben Talare einen feinen Samtbesatz unterhalb des Kragens, der in anderen Landeskirchen fehlt; dafür können sich württembergische Kollegen über sichtbare Knöpfe freuen, und norddeutsche Pastoren dürfen sich mit einer opu­lenten Halskrause schmücken. Im Süden reicht hier ein kleines, weißes Beffchen. „Und auch das war früher wesentlich größer“, sagt Albrecht, der gerne auch mal etwas länger über die Kleidungshistorie doziert, „es ging bis über die Schultern und hat so das teure Gewand vor allerlei Schmutz geschützt.“ Das war wohl auch nötig, zu viel Haarpuder setzte den damals schon wertvollen Stoffen vermutlich gehörig zu. Puder trägt heute niemand mehr, beim Tuch allerdings bleibt Albrecht der Tradition treu: Eigens für ihn werden in Oberfranken und auch in Italien wertvolle Talarstoffe gewebt – in mehreren Schwarztönen und Qualitäten, „aber wesentlich leichter als früher“, wie der Schneidermeister betont.

PREUSSENKÖNIG: SCHLUSS MIT DER EITLEN WILLKÜR

Der preußische König Friedrich Wilhelm III. kam 1811 auf die Idee, die von Universitätsprofessoren schon lange geschätzte schwarze Robe zur allgemeinen Dienstkleidung auch für Beamte, Juristen und eben auch Pfarrer zu machen, die ebenfalls auf der Gehaltsliste der jeweiligen Länder standen. Dafür gab es zwei Gründe. Einerseits setzte die Kabinettsanordnung der modischen, immer wieder auch eitlen Willkür, die sich auf den Kanzeln breitgemacht hatte, ein Ende. Andererseits bedeutete die Amtskleidung: Hier geht es 

<strong> Wertvolles Archiv: </strong> Genaue Maße für 4.400 Pfarrerinnen und Pfarrer
Wertvolles Archiv: Genaue Maße für 4.400 Pfarrerinnen und Pfarrer
<strong> Manche mögen's bunt: </strong> Auch in evangelischen Gemeinden ist nicht alles schwarz.
Manche mögen's bunt: Auch in evangelischen Gemeinden ist nicht alles schwarz.

<strong> Präzisionsarbeit: </strong> Der Meister und eine Schneiderin im Atelier
Präzisionsarbeit: Der Meister und eine Schneiderin im Atelier

um die Inhalte, die Pfarrer treten hinter der von ihnen verkündeten Botschaft zurück.

„Immer wieder gab es in den letzten hundert Jahren Versuche, das Talardesign zu modernisieren“, sagt Albrecht und bedauert gleichzeitig, dass sich nur kleinere Änderungen bei den Ärmelweiten und eine intelligente, freilich nicht sichtbare Innentaschenkonstruktion durchgesetzt hätten. Die modetheoretisch revolutionärsten Schnitte und Paramentikentwürfe aus den 60er und 70er Jahren gebe es auch noch, allerdings „unter Verschluss, irgendwo an der theologischen Fakultät in Erlangen“.

Die meisten bayerischen Vikarinnen und Vikare lassen sich ihren ersten Talar dann eben in bewährter Machart schneidern, genau wie ihre berufserfahrenen Kolleginnen und Kollegen. Die geübten Augen des Meisters taxieren jeden neuen Körper genau, Maße werden genommen, eine Prozedur, nicht länger als zehn Minuten. 


Diese handgeschriebenen Zahlen sind dann das Kapital des kleinen Unternehmens: In den letzten 38 Jahren hat man hier knapp 4.400 Talare angefertigt – jeder Kunde ist vermessen und katalogisiert. Beim folgenden Talar, der manchmal Jahrzehnte auf sich warten lässt, braucht es dann nur noch kleine Korrekturen, meistens jedenfalls.

Etwas Geduld müssen die Besteller dann allerdings nach der Maßnahme haben: Drei bis fünf Monate dauert es, bis das durchschnittlich 700 Euro teure Stück in den eigenen Besitz übergeht – „einmal wird noch angemessen, dann kann der Kunde den Talar abholen. Oder wir schicken ihn zu“. Der Run auf das flauschige Schwarz war allerdings nicht immer so groß: Zwischendurch habe er dann auch mal die Seiten gewechselt, sich mit Tracht und Konfektion beschäftigt, fährt Albrecht fort. Stationen im Saarland, in Österreich und in der Türkei, auch bei größeren Unternehmen, ergänzen seine Vita. Und eine Zeit an der Staatsoper in München, wo er als Gewandmeister alte und neue Stars entsprechend eingekleidet hat – auch das ein schöner Lebensabschnitt, erinnert er sich.

<strong> Anprobe mit Augenmaß: </strong> Des Pfarrers neue Kleider <br> (hier Martin Brons, Egidienkirche Nürnberg)
Anprobe mit Augenmaß: Des Pfarrers neue Kleider
(hier Martin Brons, Egidienkirche Nürnberg)

Video: Schneidermeister Reinhard K. Albrecht macht Pfarrerinnen und Pfarrer "chic".

MODE UND MASCHINEN – 
ES BLEIBT ALLES BEIM ALTEN

Inzwischen ist die Talar-Konjunktur wieder deutlich angesprungen, die Auftragsbücher sind voll. Das liegt aber auch daran, dass es kaum noch Kolleginnen und Kollegen gibt, die dieses Fach beherrschen. Andere Hersteller wiede­rum lassen industriell oder in Osteuropa schneidern, wo es wesentlich billiger ist. In Nürnberg aber hält man am alten Handwerk fest. Die mechanischen Nähmaschinen rattern hier in beträchtlicher Lautstärke, allenfalls gedämpft durch die großen Ballen aus edlen Stoffen, seit den Anfangstagen der Schneiderei. Der Vorteil: Albrecht kann jede einzelne notfalls selbst reparieren, dafür hat er sich – direkt unter dem Turmdach – eine kleine Werkstatt aufgebaut. „Es gibt ja kaum noch jemanden, der sich damit auskennt“, beklagt er sich achselzuckend, „dann muss ich es eben selber machen.“ Deswegen kauft er auch keine neuen Maschinen, obwohl sie ihm und seinen Schneiderinnen das Leben wesentlich erleichtern könnten – Stichwort Digitaltechnik. Doch davon habe er keine Ahnung; es bleibt also alles beim Alten.

<strong> Wie früher: </strong> Hier wird noch mit Fingerhut genäht
Wie früher: Hier wird noch mit Fingerhut genäht

Und genau das schätzt seine Kundschaft, die längst über die bayerischen Grenzen hinaus bei ihm nähen lässt. Warme Winter- und leichtere Sommertalare, etwas enger geschnitten als früher, weil bequeme Pullover zunehmend das alte Jackett verdrängen (darunter, versteht sich), aber auch die Rückbesinnung zu etwas mehr Eleganz sind aktuell die Trends im Talar-Geschäft. Und auch hier hat „Second Hand“ Einzug gehalten: Mit leichten Anpassungen trägt der eine oder andere Pfarrer die Robe eines Vorgängers auf, der Stoff jedenfalls macht das noch locker mit.

„Dann muss ich es eben
selber machen.“
Reinhard K. Albrecht

<strong> Feinschliff: </strong> Schneidermeister mit Stil
Feinschliff: Schneidermeister mit Stil
<strong> Atelier und Laufsteg: </strong> Vikarin Gritta Heuß freut sich über ihren ersten Talar.
Atelier und Laufsteg: Vikarin Gritta Heuß freut sich über ihren ersten Talar.
<strong> Präzision nach Maß: </strong> Jeder Handgriff sitzt.
Präzision nach Maß: Jeder Handgriff sitzt.

LUTHERRÖCKE IM TREND

Passend zum Reformationsjubiläum sind auch wieder Lutherröcke gefragt, sozusagen die Fräcke der Theologenszene. Fast alle, die Rang und Namen haben, wurden damit von Albrecht umgarnt: Hohe Geistliche aus Jerusalem, die meisten Landes- und Regionalbischöfe, mehrere EKD-Ratsvorsitzende. Und auch immer mehr Pfarrerinnen und Pfarrer, die zu offiziellen Anlässen keinesfalls mit dem Talar kommen dürfen, aber auch nicht nur Kostüm oder Anzug tragen wollen. Einer der besten Gehrock-Kunden war dann auch der frühere Landesbischof und EKD-Chef Hermann Dietzfelbinger: Er habe in seiner Karriere, erzählt der Schneidermeister, eine stattliche Anzahl an Lutherröcken verschlissen. Auf die Frage, wie viele denn genau, ziert sich Albrecht ein wenig. Aber dann verrät er es doch: Es waren, immerhin, elf.